In der von Stereotypen und ideologisch motivierten Positionen
geprägten Diskussion um die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
(ADHS) bleiben die Wünsche und Ziele der Betroffenen oft unbeachtet. Für
sie ist die ADHS eine tägliche Herausforderung und Belastung, die das
gesamte Leben prägt und die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann.
Betroffene wünschen sich meist Normalität: Einen
normalen Alltagsablauf – ohne ständig abgelenkt zu sein, ohne
Missgeschicke und Chaos. Normale Beziehungen mit Eltern, Geschwistern,
Freunden, Kollegen und Partnern – ohne abgelehnt und ausgegrenzt zu
werden oder sich ständig verteidigen und rechtfertigen zu müssen. Eine
normale, erfolgreiche Schulzeit – ohne andauernde Konzentrationsprobleme,
auffälliges Verhalten und Konflikte mit Lehrern und Mitschülern. Normale
Chancen im Berufsleben und die Möglichkeit, Begabungen und Stärken
erfolgreich und persönlich erfüllend einzusetzen.
Normal zu sein bedeutet für die Betroffenen nicht,
ihre Individualität zu verleugnen und sich „stromlinienförmig“
anzupassen. Es bedeutet die Befreiung von Verhaltensweisen, die sie
gegenüber der Mehrheit der Nicht-Betroffenen zu Außenseitern machen. Mit
einer unbehandelten ADHS ist diese Normalität kaum zu erreichen.
ADHS ist nicht heilbar, aber behandelbar. Etablierte
Standards für die Behandlung sind in Form von Leitlinien vorhanden. Mit
einer individuellen, aus verschiedenen Bausteinen bestehenden (multimodalen)
Therapie, die auch das Umfeld der Betroffenen mit einbezieht, lassen
sich gute Behandlungserfolge erzielen. Sowohl die Behandlung mit
Medikamenten als auch die Verhaltenstherapie haben ihre Wirksamkeit in
zahlreichen klinischen Studien unter Beweis gestellt. Zudem gibt es
zunehmend Hinweise auf die Wirksamkeit von komplementären Verfahren wie
Elterntraining, kognitives Training, Neurofeedback und einige
diätetische Ansätze (z. B. Vermeidung von allergenen Stoffen, Einnahme
von Omega-3-Fettsäuren).
Der wissenschaftliche Beirat der Informationskampagne ADHS
und Zukunftsträume will mit den folgenden Punkten auf die Bedeutung von
individuellen Zielen bei der Behandlung der ADHS hinweisen:
- Behandlungsziele sind so unterschiedlich wie die
Betroffenen und ihre individuelle Situation. Leicht
Betroffene haben meist andere Ziele als Patienten mit einer stark
ausgeprägten ADHS. Die Alltagsbewältigung und die Lebensqualität
aller Beteiligten (der Betroffenen und ihres Umfelds) zu verbessern,
sollte als übergeordnetes Behandlungsziel gelten.
- Die behandelnden Ärzte und Therapeuten sollten
gemeinsam mit den Betroffenen individuelle
Behandlungsziele festlegen.
- Die Betroffenen – und bei Kindern oder Jugendliche auch
deren Eltern – sollten für sich sprechen. Worunter leiden
sie? Welche Veränderungen wünschen sie sich für sich selbst bzw. für
ihr Kind? Die verschiedenen Ziele müssen aufeinander abgestimmt
werden.
- Behandlungsziele sollten im Gespräch konkretisiert
und schriftlich festgehalten werden. Oft ist es
hilfreich, leichter erreichbare Ziele zuerst anzustreben.
- Die Erreichung der Behandlungsziele kann durch
individuelle Einschätzung der Betroffenen und mit Hilfe von
Verlaufsbögen mit Beurteilungsskalen überprüft werden.
- Die Behandlung einer ADHS zielt nicht darauf ab, die
Individualität, das Temperament oder den Charakter der Betroffenen
zu verändern. Ziel ist es vielmehr, die Betroffenen dabei
zu unterstützen, sich individuell positiv zu entwickeln, ihre
Fähigkeiten zu entfalten und ihre Begabungen und ihre Kreativität so
zu nutzen, wie sie es sich wünschen.
- Alle Beteiligten – die Kinder, Jugendlichen und
Erwachsenen mit ADHS sowie ihr soziales, schulisches und berufliches
Umfeld – sollten die Behandlung unterstützen und
dazu beitragen, dass die individuellen Behandlungsziele erreicht
werden.
Diese Stellungnahme wurde vom wissenschaftlichen Beirat der
Informationskampagne „ADHS und Zukunftsträume“ erarbeitet und im
März 2012 verabschiedet.
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